Gewaltprävention in der Pflege – Verantwortung beginnt im Management

von Janice Seebeck

Gewalt in der Pflege ist real. Sie ist nicht nur ein Schreckensbild aus den Medien, sondern ein Thema, das Pflegekräfte wie auch pflegebedürftige Menschen im Alltag betrifft. Und doch wird sie oft übersehen, verharmlost oder tabuisiert. In ihrer Hausarbeit hat sich Janice Seebeck im Rahmen der Weiterbildung zur verantwortlichen Pflegefachkraft intensiv mit dem Thema „Gewaltprävention als Managementaufgabe“ beschäftigt – mit dem Ziel, ein fundiertes Präventionskonzept für den Pflegedienst Lilienthal zu entwickeln.

 

Gewalt ist mehr als körperliche Übergriffe

 

Was genau ist Gewalt in der Pflege? Gewalt beginnt nicht erst beim Schlagen oder bei offensichtlichem Missbrauch. Sie kann sich leise zeigen – durch Respektlosigkeit, Bevormundung, Missachtung von Bedürfnissen, Ignorieren von Hilferufen oder Zeitdruck, der die würdevolle Pflege unmöglich macht.

Janice Seebeck unterscheidet mehrere Formen von Gewalt:

  • Körperliche Gewalt (z. B. grobes Anfassen, Fixierungen, falsche Medikamentengabe)

  • Psychische Gewalt (z. B. Drohungen, Anschreien, Ignorieren)

  • Finanzielle Gewalt (z. B. Druck zu Geldgeschenken)

  • Strukturelle Gewalt (z. B. starre Abläufe, fehlende Privatsphäre)

  • Institutionelle Gewalt (z. B. durch bürokratische Hürden oder fehlende Unterstützung)

Besonders wichtig: Gewalt kann sowohl von Pflegenden als auch von Pflegebedürftigen ausgehen – beide Seiten brauchen Schutz, Verständnis und konkrete Handlungsstrategien.

 

Ursachen: Warum es zur Eskalation kommt

 

Die Ursachen für Gewalt und Aggression sind vielschichtig. Pflegekräfte stehen unter enormem Druck: Zeitmangel, Personalmangel, fehlende Pausen, emotionaler Stress und mangelnde Fortbildungen gehören für viele zum Alltag. Auch private Belastungen spielen eine Rolle.

Auf Seiten der Pflegebedürftigen wirken Faktoren wie:

  • Verlust der Selbstständigkeit

  • Unvertraute Umgebung

  • Scham bei intimen Pflegesituationen

  • Krankheitsbedingte Verhaltensveränderungen (z. B. bei Demenz)

  • Kommunikationsbarrieren

Hinzu kommt, dass sowohl Pflegende als auch Pflegebedürftige Gewalt erleben können – oft unbemerkt oder unausgesprochen. Eine offene Kultur und klare Kommunikation sind daher unerlässlich.

 

Deeskalation als Schlüsselkompetenz

 

Um Eskalationen zu vermeiden, ist das frühzeitige Erkennen von Warnsignalen entscheidend. Seebeck stellt in ihrer Arbeit verschiedene Deeskalationstechniken vor – von einer bewussten, wertschätzenden Sprache über Körpersprache bis hin zur Gestaltung des Umfelds.

Auch bekannte Kommunikationsmodelle wie das Vier-Ohren-Modell nach Schulz von Thun oder die fünf Axiome von Watzlawick helfen, Missverständnisse zu vermeiden und Gespräche professionell zu führen – besonders in emotional aufgeladenen Situationen.

 

Ein Gewaltpräventionskonzept für den Pflegealltag

 

Ein zentrales Ziel der Arbeit war die Entwicklung eines praxisnahen Gewaltpräventionskonzepts für den Pflegedienst Lilienthal. Es beinhaltet u. a.:

  • Leitlinien & Werte für einen respektvollen, achtsamen Umgang

  • Meldewege für Verdachtsfälle – auch anonym

  • Interne Ansprechpartner für Gewalt- und Konfliktthemen

  • Regelmäßige Fortbildungen, etwa zu Demenz, Kommunikation und Selbstpflege

  • Strukturelle Maßnahmen wie ausreichend Personal, feste Pausenzeiten, Supervision und kollegiale Beratung

  • Alternative Maßnahmen zu Fixierungen, wie z. B. Niederflurbetten oder Bewegungsmelder

  • Dokumentation & Evaluation zur kontinuierlichen Weiterentwicklung des Konzepts

Ein besonderer Fokus liegt auf der Sensibilisierung der Mitarbeitenden, aber auch auf der Einbindung von Angehörigen und Pflegebedürftigen. Gewaltprävention ist eine gemeinsame Aufgabe.

 

Verantwortung beginnt ganz oben

 

Führungskräfte tragen eine besondere Verantwortung, wenn es um Gewaltprävention geht. Sie setzen nicht nur Rahmenbedingungen, sondern geben durch ihre Haltung und ihr Verhalten auch ein Vorbild für das Team. Seebeck betont: „Eine empathische, reflektierte und gut vorbereitete Führungskultur ist entscheidend, damit Gewalt gar nicht erst entsteht.“

 

Fazit: Pflege braucht Respekt, Achtsamkeit und Haltung

 

Die Hausarbeit zeigt deutlich: Gewalt in der Pflege ist kein Randthema, sondern ein zentrales Thema professioneller Pflegequalität. Wer pflegebedürftige Menschen schützen will, muss auch die Pflegenden schützen – vor Überlastung, Ohnmacht und Überforderung.

Ein funktionierendes Gewaltpräventionskonzept bedeutet:

  • mehr Sicherheit für Pflegebedürftige

  • bessere Arbeitsbedingungen für Pflegende

  • ein wertschätzendes Miteinander im Pflegealltag

Jeder Mensch hat das Recht auf eine würdevolle Pflege. Gewaltprävention ist keine Kür – sie ist Pflicht. Und sie beginnt mit Haltung, Wissen und der Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen.